IVG Palermo 2020: Exil, Migration, Flucht und Vertreibung
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- Category : Allgemein, Tagungen

Exil, Migration, Flucht und Vertreibung, Alte und Neue Kriege – literarische Topoi des 20. und 21. Jahrhunderts
IVG-Kongress Palermo 2020
Sektionsleitung:
Prof. dr hab. Monika Wolting
Uniwersytet Wrocławski, Polen
monika.wolting@uwr.edu.pl
Dr. Jyoti Sabharwal, Assoz. Prof.
University of Delhi, Delhi, Indien
jyotisabharwal@gmail.com
„Wir kennen sie alle, die Gedichte, Romane, Erzählungen von deutschen Schriftstellern, die öfter als die Schuhe die Länder wechselnd, wie es bei Brecht heißt, gezwungen waren, ins Exil zu gehen. Wie aber geht es schreibenden Emigranten heute – Schriftstellern, Bloggern, Publizisten, die nicht aus, sondern nach Deutschland geflohen sind, weil sie andernorts verfolgt werden, ihren Beruf nicht ausüben dürfen oder gar um ihr Leben fürchten müssen?“, fragt Ralph Gerstenberg 2017 in seinem Beitrag „Verfolgte Autoren publizieren in Deutschland“ in einem Beitrag für den Deutschlandfunk.
Die Arbeit in der Sektion nimmt diesen Gedanken auf und setzt sich zum Ziel, die literarischen Repräsentationen von Migration und Exil, Flucht und Vertreibung in der deutschsprachigen Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts zu diskutieren. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen einen Beitrag für die methodologische Reflexion leisten, Migrationsliteratur und Exilliteratur nicht als zwei getrennte Schwerpunkte der Literaturwissenschaft zu denken, sondern sie aus einem gemeinsamen Blickwinkel zu betrachten, auch wenn in der gegenwärtigen Forschung eine ganz andere begriffliche Ausgangssituation vorherrscht. Das gegenwärtige Engagement des deutschen P.E.N.-Zentrums für das Writers-in-Exile Programm, das als ein Stipendienprogramm für verfolgte Schriftsteller ins Leben gerufen wurde, knüpft an den Leitgedanken des 1934 gegründeten P.E.N.-Club deutscher Schriftsteller im Exil, geflüchteten Schriftstellern, Autoren und Journalisten Zuflucht zu bieten. Die Exil- und Migrationsthematik bietet einen doppelten Zugang zum Literatursystem: Zum einen ist es interessant, nach der Literaturkritik, nach dem Leben und der Außenwirkung der geflüchteten Autoren zu fragen, zum anderen die Themen, Motive, Figuren, Räume, die konkret in literarischen Texten realisiert werden, literaturwissenschaftlich zu betrachten.
Die immer neu entfachenden Kriege, die Bedrohung durch den Terrorismus, die massiven Flüchtlingswellen führten dazu, dass die Begriffe Neue Kriege, Terrorismus, Flüchtlinge, Migration massenmedial wie politisch zu Anfang des 21. Jahrhunderts an beispielloser Präsenz gewonnen haben. Die Kriege, die Flüchtling- und Migrationswellen bringen schon immer Störungen in gesellschaftliche, politische und religiöse Systemen ein und sie leiten die Hinterfragung bestehender Werte, Normen wie auch gesellschaftlich verbindlicher Toleranzvorstellungen ein. Flüchtlingsfigur (auch Migrantenfigur) entwickelt eine eigenartige Beziehung zum Raum, sie wird dadurch oft als Gegenfigur zum literarisch positiv konnotierten Grenzgänger entworfen. Dies macht sie zur Figur ohne einen stabilen Fixpunkt im Raum, was wiederum dazu führt, dass sie als Figur des Dritten, die Störungen in bestehende Systeme bringt, zu deuten ist. Gerade die Figurationen der Flüchtlingsfigur, die die deutschsprachige Literatur nicht erst seit der Exilliteratur maßgeblich gestaltet, könnte für die neue Sichtweise eine bedeutende Rolle übernehmen und langfristig die Trennung von Exil- und Migrationsliteratur aufheben. Migranten und Sprachwechsler aus Krisen- und Kriegsregionen schreiben in der Auffassung von Sigrid Löffler die neue Weltliteratur. Es entstehen Geschichten über gemischte Herkünfte und hybride Identitäten, Ortslosigkeit, transnationale Wanderungen und schwierige Integration. Zu fragen wäre, wie die Literatur auf diese Herausforderungen unserer Zeit reagiert und wie sie Ereignisse der Wirklichkeit in die fiktionale Welt des literarischen Textes einbindet. Die frischen Erfahrungen der Neuen Kriege in Irak, Afghanistan, Syrien (aber auch die früheren im Jugoslawien-Krieg, in den Konflikten in Nordafrika) und die damit in Verbindung stehenden Flüchtlingsbewegungen in Europa sind bereits Gegenstand der literarischen Reflexion geworden.
Der Schwerpunkt des Sektion soll auf dem ästhetischen Potential von Kriegs- und
Migrationsdarstellung liegen. Mögliche Fragestellungen wären – mit einem Fokus auf Migrations-, Exilliteratur und zeitgenössische Krisennarrative:
Geflüchtete Schriftsteller – Lebenserfahrungen
Räume der Flucht, des Exils, der Migration
Exilliteratur versus Migrantenliteratur versus Flüchtlingsliteratur
Identitätslosigkeit, Ortslosigkeit, Erfahrung des Selbst in fremden Räumen
Literarische Repräsentationen der Exil-, Migranten- und Flüchtlingsfigur
Flüchtlingsfigur als Figur des Dritten, Figur der Störung
Postheroische Literatur und ihr postheroischer „Held“
Auf welche kulturellen und narrativen Muster greifen Erzählungen über Kriege des 21. Jahrhunderts zurück?
Traumadarstellungen in Texten der Exil- und Migrationsliteratur
Die engagierte deutschsprachigen Literatur des 20. und des 21 Jahrhunderts,
Krisen-Erzählungen als Texte des relevanten Realismus
Flüchtlinge des Nationalsozialismus als Figuren der Gegenwartsliteratur
Inwiefern ist die Krise ein fruchtbares Konzept für die Fachdidaktik?
Weitere Konkretisierungen und Präzisierungen durch die Referentinnen und Referenten auch hinsichtlich verwandter und angrenzender Textsorten – Literaturverfilmung, Graphic Novel, Comic, Autorenfilm, Theaterinszenierungen et al. – sind ausdrücklich erwünscht.