mit Jan Koneffke
- By : Web23273858
- Category : Gespräch, Gespräche

Carsten Gansel und Jan Koneffke
„Ich musste das erzählen“ – Ein Gespräch.
In: Uwe-Johnson-Preis 2016. Jan Koneffke »Ein Sonntagskind«. Herausgegeben von Carsten Gansel in Verbindung mit Lutz Schumacher und Markus Frank. Edition Leetspeak 2017, S. 45-70.
Carsten Gansel: Herr Koneffke, lassen Sie mich mit einer Frage einsteigen, die Ihren Roman „Ein Sonntagskind“ betrifft und den Einbau oder
den Bezug auf Dokumente. Sie haben in den Text authentische Zeugnisse integriert, nämlich Briefe Ihres Vaters. Haben Sie diese Dokumente
gewissermaßen 1:1 eingebaut oder doch stärker verfremdet?
Jan Koneffke: Ich habe das Briefmaterial im ersten großen Kapitel,das von den letzten Kriegsmonaten handelt, gänzlich integriert, wörtlich zitiert habe ich aber nur wenige Sätze. Im Ablauf der Ereignisse halte ich mich aber strikt daran. Gewiss musste ich Szenen erfinden, Personen (die in den Briefen nur als Namen oder Spitznamen auftauchen). Darüber hinaus gibt es unter anderem ein Buch, das mich bei der Arbeit an diesem Roman besonders beschäftigt hat, nämlich das von Sönke Neitzel und Harald Welzer herausgegebene Buch „Soldaten“. Es geht um Abhörprotokolle von deutschen Soldaten in britischer und amerikanischer Gefangenschaft.Die Soldaten wussten nicht, dass sie abgehört werden und es kam zur Aufzeichnung auch von ganz banalen Gesprächen. Das war für mich sehr interessant, weil sich zeigt, dass die nationalsozialistische Ideologie eigentlich gar keine so große Rolle spielte. Der Führerkult ja, auch der Antisemitismus, aber vor allem geht es um soldatische und militärische Werte. Die hielten das Ganze zusammen. Aus diesen Protokollen habe ich tatsächlich auch zitiert, mal wörtlich, mal leicht verändert.
C. G. — Und dieser Aspekt führt Sie dann auf das reale Vorbild Ihres Vaters zurück. Sie haben das bei ihm sozusagen wiedergefunden?
J. K. — Ja, genau. Das ist ein Punkt, der für das reale Vorbild, also für meinen Vater, im Roman dann Konrad Kannmacher, ebenfalls zutrifft. Auch Konrad Kannmacher hat aufgrund seines Elternhauses die nationalsozialistische Ideologie eigentlich nicht verinnerlicht, die militärischen Werte dagegen sehr wohl und
sehr intensiv. Gehorsam, Kameradschaft, Tapferkeit, Opferbereitschaft, die natürlich in einen bestimmten Kontext gehören, die spielen für ihn eine wichtige Rolle. Doch die Frage: Wofür opfert man sich? Wem gehorcht man, warum und wofür? wird nicht reflektiert.
C. G. — Wenn man Ihren Roman liest, dann fällt auf, dass es Episoden gibt, in denen ein „harter Realismus“ dominiert, es wird gezeigt, was Krieg wirklich bedeutet. Ein solches Erzählen, das die Schrecken nicht verschweigt, sondern gerade explizit ausstellt, das hat eine lange Tradition, denken wir nur an Ernest Hemingway oder denken wir an das, was in der DDR-Literatur der 1950er Jahre ganz bewusst „harte Schreibweise“ hieß. Etwa ein Roman von Harry Türk, „Die Stunde der toten Augen“, wäre hier zu nennen. Warum haben Sie sich erzählerisch so entschieden, also dafür, den Krieg brutal und bis in seine schlimmsten Details zu schildern, geradezu naturalistisch könnte man sagen.
J. K. — Also, ich hätte das in der von Ihnen geschilderten Weise natürlich überhaupt nicht getan, und ich hätte diese Kriegskapitel gar nicht schreiben können, wenn mir nicht diese Briefe meines Vaters zur Verfügung gestanden hätten. Die bildeten die Grundlage, die waren so detailliert, dass es sich einfach zwangsläufig ergab. Ich musste das erzählen und ich musste es so erzählen. Auch deshalb, um die Geschichte, Konrad Kannmachers Lebensgeschichte, nach diesen ersten hundert Seiten Kriegskapitel weitererzählen zu können. Um den Bruch und den Abgrund in seiner Biografie zu zeigen. Um zur Frage nach der Übernahme des Materials zurückzukehren: Das habe ich mir gewissermaßen anverwandelt und in meine Erzählung, meinen Erzählduktus überführt. Ich glaube, es ist auch nicht wirklich naturalistisch, wenn man sich sehr, sehr genau mit dem Einzelsatz beschäftigt. Dann findet man heraus, dass es einen ganz klaren Satzrhythmus
gibt. Es ist schon sehr elaboriert, es ist nicht einfach eine Widerspiegelung, sondern schon durch mehrere Filter, sozusagen sprachliche Filter, gegangen. Da wird das Geschehen ja zum Beispiel auch in Fragen formuliert.